Test – DT Degrees of Freedom – NAchrüstbare Freiheit vom Pedalrückschlag
Lesezeit: 8 – 9 Minuten
Pedalrückschlag ist DAS heiße Thema dieses Jahr und wir würden sagen – zu Recht. Wir haben die Vorteile von Systemen, welche den Einfluss der Kette reduzierten, ausführlich getestet und bestätigt. Auch zusammen mit unseren CoPiloten.
Nach dem Einverleiben von O-Chain durch SRAM betritt nun ein weiterer Big Player die Bühne mit einer Entkopplung zwischen Kette und Hinterbaukinematik.
Degrees of Freedom nennt DT Swiss die hauseigene Lösung gegen Ketteneinfluss. Kostengünstig, nachrüstbar in bestehende Naben und ziemlich simpel. Wir haben das System getestet.
Was ist Pedalrückschlag?
Für diejenigen, die schon wissen was Pedalrückschlag ist, die können direkt weiterscrollen. Wer eine Auffrischung braucht, bekommt sie hier in kurzer Form:
Was passiert, wenn mein Hinterbau einfedert?
Beim Einfedern wird über die Umlenkhebel der Dämpfer komprimiert.
Die Hinterradachse folgt dabei einer vom Hinterbau-Design bestimmten Bahn um die Drehpunkte.
Dabei verändert sich der Abstand zwischen Tretlager und Hinterradachse. Wäre der Hauptdrehpunkt exakt konzentrisch zum Tretlager, bliebe dieser Abstand konstant.
Um eine bessere Pedalierbarkeit (Anti-Squat-Effekt) zu erreichen, wählen Hersteller eine Drehpunktposition, die nicht konzentrisch zum Tretlager liegt.
Beim Einfedern verlängert sich der effektive Abstand zwischen Kettenblatt und Hinterradachse, was zu einem Kettenwachstum führt.
Kettenwachstum ist ein gewollter Effekt, der zum Anti-Squat beiträgt – aber auch zu Pedalrückschlag führen kann.
Da die Kette mit dem Antrieb (der Kassette) verbunden ist, kann die Bewegung des Hinterbaus über die Kette auf die Kurbeln wirken. Diese können nach hinten gezogen werden. Dies verhindert ein vollkommen neutrales Ansprechen der Federung – besonders bei harten Schlägen oder im technischen Gelände.
DT Degrees of freedom – Funktionsweise
DT ist nicht der erste Hersteller mit der Lösung in der Hinterradnabe. Man kommt nicht darum herum beide Systeme zu vergleichen. Vor einem Jahr kam e*thirteen auf den Markt und stellte Sidekick vor. Eine Alternative, die man gegenüber Ochain schnell und einfach auch zwischen mehreren Bikes durch simplen Laufradtausch wechseln konnte.
Die Entwickler bei DT blieben derweil nicht untätig und ergründeten die Möglichkeiten innerhalb ihrer eigenen Naben. Man wünscht sich, dabei gewesen zu sein in Biel, als die Lösung gefunden wurde. Denn Degrees of Freedom (kurz DF) ist verdammt clever. Es kommen keine zusätzlichen Bauteile zum Einsatz für die Funktion. Der vereinheitlichte Leerweg beim Antritt in die Pedale, respektive der Leerweg, den die Kassette machen kann, ohne über die Kette an der Kurbel zu zerren, liegt nun in einer angepassten Zahnscheibe.
Wie dieser Ansatz funktioniert, seht ihr auf den folgenden Bildern. Auf der linken Seite ein aktuelles Service-Kit der Ratchet DEG und auf der rechten das Pendant als Ratchet DEG DF. Beim Betrachten des mittleren Fotos seht ihr klar die 72 Zähne, welche den minimierten 6 auf der inneren Scheibe gegenüberstehen. Diese 6 Nasen greifen dann in eine Adaption des bekannten Gewinderings, welcher in die Nabe eingeschraubt ist.
Wer seine aktuelle Ratchet-DEG-Nabe umrüsten möchte, benötigt das entsprechende Werkzeug von DT, um diesen Ring auszuwechseln. Im Idealfall lässt man das im Bikeshop machen, denn es ist etwas Kraft und Erfahrung nötig.
In dieser Darstellung sieht man sehr gut die beiden angepassten Teile, welche DF möglich machen. Gewindering und innere Zahnscheibe haben Zahnverlust.
Je nachdem, wie man die innenliegende Zahnscheibe in den Gewindering einsetzt, ergeben sich drei Varianten, beziehungsweise Winkel, in denen sich die 6-fach bezahnte Zahnscheibe frei bewegen kann, bevor sie die Verbindung zwischen Freilaufkörper und Nabe herstellt. Dafür wurde der geschraubte Gewindering, welcher fest in der Nabe sitzt, ebenfalls mit Zahnmangel versehen. Nur eben mit System.
Dreht sich nun das Laufrad weiter nach einem Schlag, so reicht die interne Reibung, um den Leerweg der inneren Zahnscheibe wiederherzustellen. Bereit, den Leerweg auf dem nächsten Impact wieder aufzubrauchen und den Einfluss der Kette auf vorderes Kettenblatt/Kurbel/Pedale/Füße zu minimieren.
Je nach Stellung der inneren Scheibe ergeben sich 0°, 10° oder 20° Leerweg oder “Freiheitswinkel”.
“HALT STOPP! Dann kann ich doch einfach eine günstige Nabe nehmen, mit einer gröberen Verzahnung! Dann habe ich den gleichen Effekt!”
Teilweise ist das richtig. Aber da eine solche Nabe irgendwo, an einer undefinierten Stelle, in ihrem Eingriffswinkel steht, ergeben sich unterschiedlich große Winkel, bevor es zu einer Interaktion zwischen der inneren und äußeren Zahnscheibe kommt. Praktisch bedeutet das für euch auf dem Trail, dass ihr manchmal den Leerweg an einer solchen Nabe positiv nutzen könnt und ein anderes Mal steht die Verzahnung so nah am Kontaktpunkt, dass der Schlag durchgereicht wird. Berechenbarkeit für den Piloten ist nicht gegeben.
Je schneller die Nabe einrastet (also umso feiner die Verzahnung bzw. je kleiner der Engagement-Winkel), desto häufiger ist eine direkte Verbindung zwischen Kette und Kurbel gegeben. Dadurch wird die Kettenreaktion (z. B. durch Pedalrückschlag beim Einfedern) sofort auf die Kurbel übertragen – anstatt von der Freilaufmechanik verschluckt zu werden. Die Drehbewegung der Nabe durch das Rollen des Bikes, wirkt entgegen der Drehbewegung, die von einem Schlag in den Hinterbau ausgeht.
“HMMM – OK. DANN FAHRE ICH EINFACH SO SCHNELL, DASS ICH DAS SYSTEM NICHT BRAUCHE!”
Dreht sich ein Hinterrad schnell genug, so wird der Einfluss der Kette geringer. Das ist korrekt. Allerdings ist dies eine komplexe Rechnung. Es hängt vom Grad der Verzahnung in der Nabe ab, in welchem Gang ihr in diesem Moment fahrt, eurem Hinterbausystem und wie stark dieses Pedalrückschlag generiert.
Ihr werdet bei höheren Geschwindigkeiten also grundsätzlich weniger Pedalrückschläge haben.
Wenn man nun bedenkt, wie ihr auf dem Trail unterwegs seid, so steigt ihr natürlich nicht direkt mit vollem Speed ein. Sprich, ihr habt abhängig von eurer Geschwindigkeit unterschiedlich oft Kickback. Es ist schlicht für euch nicht genau abschätzbar, wann ihr schnell genug seid, damit ein Kickback nicht mehr relevant ist oder ihr ihn weniger stark spürt.
Welcher wirklich große Vorteil daraus auf dem Trail entsteht, erklären wir unten im Fahreindruck genauer.
Für die Nerds – Pedalrückschlag ausrechnen
Man kann den Pedalrückschlag ausrechnen. Allerdings ist dieser, wie schon erwähnt, auch von eurem individuellen Hinterbausystem abhängig. Wenn man die Rechnung vereinfacht, lässt sich diese wie folgt durchspielen:
Ihr habt an der Front ein Kettenblatt mit 32 Zähnen und fahrt aktuell auf der Kassette ein Ritzel mit 14 Zähnen.
Unser Gedankenspiel würde nun, in dieser Konstellation, zusammen mit dem Hinterbau 3° Pedalrückschlag produzieren, wenn ihr einen 5 cm Schlag auf das Hinterrad bekommt.
Dann bekommt ihr 6,9° Rotation eingeleitet an eurer Kassette, beziehungsweise dem Freilaufkörper:
6,857° = 3° × 32/14
Nutzt ihr eine Nabe, die einen Eingriffswinkel < diesem Wert hat, so werdet ihr das am Pedal spüren. Wenn der Leerweg einer Nabe in diesem Moment größer ist als 6,9°, spürt ihr nichts. Liegt die Sperrklinke oder die Zahnscheibe gerade in einem Winkel kurz vor dem Kontakt, also unter 6,9°, so wird das Feedback ankommen.
Das ist eine Rechnung im Reinraum, und auf dem Trail wird es mit der dazukommenden (Dreh-)Geschwindigkeit der Nabe komplexer.
In den Animationen seht ihr sehr schnell, wie sich die innere Zahnscheibe in den unterschiedlichen Positionen frei bewegen kann oder eben nicht. Also klassisch fix mit 0° (dafür braucht es dann aber kein DF) oder es sind 10° und 20° Grad möglich. In der E-Bike-Version sind maximal 10° drin.
DEG DF Upgrade Kits – Übersicht
DEG DF UPGRADE KIT | DEG DF HYBRID UPGRADE KIT* | |
---|---|---|
Compatibility | Compatible with all Ratchet DEG hubs | Compatible with all Ratchet DEG hubs |
Degrees of Freedom / Engagement | 0°, 10° and 20° 90T Ratchet system with 4° engagement angle |
0° and 10° 60T Ratchet system with 6° engagement angle |
Werkzeug | Verfügbar mit oder ohne thread-ring-tool | Verfügbar mit oder ohne thread-ring-tool |
Including |
1x DEG DF Threadring 1x DEG DF Inner Ratchet 1x DEG Outer Ratchet 2x DEG Springs 1x Special Grease 20g |
1x DEG DF HY Threadring 1x DEG DF HY Inner Ratchet 1x DEG HY Outer Ratchet 2x DEG Springs 1x Special Grease 20g |
UVP | ab 129.90€ / 176.20$ / 129.90CHF | ab 129.90€ / 176.20$ / 129.90CHF |
*Aufgrund der höheren Belastungen in E-Bikes gibt es eine gesonderte Variante für diese Anwendung. Im Hybrid-Upgrade-Kit findet sich eine verstärkte Version, die allerdings nur die Einstellungen von 0° oder 10° erlaubt. Verfügbar für Ratched DEG mit 60 Zähnen.
Links die Hybrid-Version – also fürs E-Bike hat maximal 10° Leerweg, rechts im Bild die Standard-Version bis zu 20°
Unterschiede der Systemnaben:
DT Degrees of Freedom zu e*thirteen Sidekick
Hersteller | Settings | E-Bike Freigabe | Pedalgefühl beim Antritt | Gewicht | Preis UVP | System |
---|---|---|---|---|---|---|
DT 240 | 0°, 10°, 20° | Bald verfügbar – nur bis 10° | hart | ab 207 g | 396 €* | Zahnscheibe |
Sidekick | 12°, 15°, 18° | ja | minimal gekuppelt | ab 422 g | 499 € | Sperrklinke |
*Wer schon eine Ratchet DEG Nabe hat kommt mit der Nachrüstoption für nur 129,90 € nochmal günstiger weg.
Wie fühlt sich DT DF auf dem Trail an?
Im technischen Teil hatten wir beschrieben, wie eine fein verzahnte Nabe mit niedrigem Eingriffswinkel öfters für Interaktion von Hinterbau und Kurbel über die Kette sorgt.
Der Leerweg an einer DF Nabe ist gegenüber einer grob verzahnten Option vereinheitlicht, sprich, eine Interaktion in Form von Pedalrückschlag tritt deutlich weniger oft auf. Es ist näher dran an Chainless aber nicht ganz. Auch nicht in der größten Einstellung von 20°.
Dass sich eine komplette Entkopplung nochmal anders anfühlt, kann jeder selbst ausprobieren. Einfach Kette demontieren und einen bekannten Trail hinunterrollen.
Ist DF ein Vorteil auf dem Trail? Absolut. Es sorgt für deutlich mehr Ruhe am Fuß. Euer Fahrwerk liegt nicht nur satter, es verspringt weniger und man kann sich einfacher auf die Linie konzentrieren. Stellt euch vor, dass euer Hinterbau einfach noch besser funktioniert. Ihr werdet mehr Grip haben und es fühlt sich zusätzlich so an, als ob ihr mehr Federweg hättet.
Dass DT eine so simple Lösung gefunden hat, hat für geräuschempfindliche Fahrer einen Preis. Denn im direkten Vergleich anderen Systemen (Ochain) ist DF lauter. Wenn der Leerweg überwunden wurde und die Zahnscheiben, wie auch die Nasen gegeneinander stoßen, hört und spürt man das. Vergleicht man mit dem naheliegendsten Mitbewerber Sidekick, so sind sich die Systeme ähnlich vom Gefühl beim Antritt, wobei Sidekick mit dem Pusher, der sich unter die Sperrklinken schiebt, minimal leiser/gedämpfter ist.
Rein von der Performance-Verbesserung lässt sich zwischen den beiden Naben-Systemen kein Sieger benennen. Beide liefern ab und tun genau das, was sie sollen.
E-Biker hingegen werden etwas zurückstecken müssen. Denn hier gibt es Unterschiede (siehe Übersichtstabelle oben).
Wenn das Bike ruhiger wird, dann nimmt auch der Speed zu.
„Wenn ich die Wahl hätte zwischen einem Fahrwerk, custom-abgestimmt auf mein Gewicht und meinen Fahrstil, oder einer Federgabel und einem Dämpfer von der Stange, ABER mit einem System, was meinen Pedalkickback im Zaum hält, dann wäre die Entscheidung einfach …“
– JENS STAUDT | TESTPILOT.bike
0°, 10° oder 20°? Zur besseren Sichtbarkeit hier ohne Feder abgebildet. Der Leerweg ist werkzeugfrei anpassbar.
Fazit: DT Swiss Degrees of Freedom
Ein Bike, bei dem der Einfluss der Kette auf das Fahrverhalten minimiert wird, fährt spürbar ruhiger – das zeigt sich auch beim neuen System Degrees of Freedom von DT Swiss. Mit diesem innovativen, leichten und äußerst preisgünstigen Upgrade reiht sich DT Swiss in die wachsende Zahl der Anbieter auf dem Markt ein.
Besonders praktisch: Das System lässt sich auch bei älteren Naben problemlos nachrüsten und ermöglicht so einer breiten Nutzergruppe, die Performance ihres bestehenden Bikes deutlich zu verbessern.
Einziger kleiner Wermutstropfen: E-Biker können aktuell nicht das volle Potenzial der 20 Grad nutzen – allerdings wird dieser Nachteil durch das höhere Systemgewicht ihrer Bikes teilweise ausgeglichen.
Ihr wollt mehr Tests?
Autor – Jens Staudt
Größe: 191 cm
Gewicht: 95 kg
Fahrstil: Mit seinem Race-Hintergrund sind die Linien geplant, auch wenn es mal rumpelt. Wenn möglich, werden Passagen übersprungen. Die ganze Breite eines Trails sollte man nutzen. Andere würden sagen – kompromisslos.
Motivation: Ein Produkt sollte sorgenfrei und möglichst lange funktionieren. Wenn man weniger schrauben muss, kann man mehr fahren. Er bastelt gerne und schaut, wie das Bike noch optimiert werden kann.
Autor – Yannick Noll
Größe: 178 cm
Gewicht: 75 kg
Fahrstil: Als ehemaliger Racer darf es gerne schnell und flüssig sein. Größere Sprünge und steile Rampen dürfen aber auch nicht fehlen. Das Bike ist etwas straffer und schneller abgestimmt, dass es entsprechend schnell auf Input vom Fahrer reagiert.
Motivation: Es soll Spaß machen. Ein Bike sollte nicht langweilig, alles platt bügeln. Der Charakter darf etwas lebendiger sein. Bei der Abstimmung, wie auch beim Fahrstil. Das Produkt sollte haltbar sein und auch auf längeren Biketrips sorgenfrei funktionieren.