rotwild R.EX vs R.EXC – Im Überblick
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Rotwild – früher bekannt für High-End Mountainbikes, optimiert auf Rennperformance. Nach vielen Jahren mit dieser Philosophie folgte die komplette Umstellung auf E-Bikes. Wurde die Rennhistorie mit diesem Wechsel schließlich begraben? Sollte man meinen, oder doch nicht? Letztes Jahr stellten sie zum Saisonauftakt der E-EDR dann das neue R.EXC E-Enduro Racebike vor. Kurz darauf folgte die R.EX All-Mountain Variante. Wir konnten uns die beiden Bikes genauer anschauen. Was unterscheidet sie oder sind das einfach die gleichen Bikes nur mit unterschiedlichem Federweg?
Rotwild Geschichte – vom MTB zum E-MTB
Seit der Gründung 1996 haftete dem hessischen Hersteller Rotwild stets das Image der wettkampforientierten Performance-Marke an. Kooperationen mit Mercedes AMG unterstrichen den Drang nach optimierter Leistung. Die Jungs, die durch spaßige Laps und ein paar Bier angetrieben wurden, griffen seltener zu einem Rotwild. Doch dann rollten die ersten E-MTBs auf die Bildfläche. Zeit für ein Umdenken?
2013 präsentierte Rotwild schließlich ihre Serienversion eines elektrisch unterstützten Offroad-Bikes. Kein Rennsport, dafür eine Vision. Sie machten es sich zum Ziel, die Fahrperformance eines solch schweren Bikes zu optimieren – Power allein reicht nicht, es soll Spaß machen und sich eher anfühlen wie ein klassisches Mountainbike. Eine Zeitlang koexistieren reguläre Mountainbikes und ihre E-Partner. Modelle wie das R.X275 mit TQ Motor unterstrichen die Idee vom agilen E-Bike.
Im Jahr 2018 folgte der radikale Schnitt: Das Portfolio wurde komplett elektrifiziert, die Muskelkraft-Bikes verschwanden aus dem Sortiment. Voller Fokus auf E-Mountainbikes. Die Rennsport-Ära schien vorbei. Fast. Im Mai 2024 zum Start der E-Enduro World Series (E-EDR) präsentierten sie schließlich das R.EXC. Ein E-Bike, mit dem man zu den Wurzeln zurückkehrte. Zurück ins internationale Renngeschehen.
Das R.EXC. Geboren als E-Enduro Racebike für die E-EDR.
Nur zwei Monate später folgte ein optisch sowie namentlich sehr ähnliches Modell – das R.EX. In Massa Marittima bei der Bike Connection Winter trafen wir das Team von Rotwild und konnten die beiden Bikes etwas genauer unter die Lupe nehmen. Wie unterscheiden sie sich und welches E-MTB ist für wen das Richtige?
Das R.EX. Der kleine Bruder des R.EXC – gemacht für All-Mountain.
Gleicher Look. Gleiches Bike?
Auf den ersten Blick sehen die beiden Modelle R.EXC und R.EX wie Zwillinge aus. Das R.EXC ist, wie einleitend ausgeführt, das E-Enduro Racebike mit 170 mm an der Front und 160/150/145 mm verstellbarem Federweg am Heck. Das R.EX bietet vorne 160 mm und hinten 150 mm Federweg – es ist somit die All-Mountain Variante.
Das lässt sich auch in der Nomenklatur entziffern:
R = Rotwild
E = Enduro
X = Vielseitigkeit
C = Competition
Beide Bikes rollen auf Mullet-Laufrädern mit 29″-Vorder- und 27,5″-Hinterrad. Ist das jetzt einfach der gleiche Rahmen, nur mit unterschiedlich langen Federelementen? Liegt der Unterschied nur im zusätzlichen C im Namen? Es steckt im Detail. Den Hauptrahmen teilen sie sich tatsächlich nicht nur optisch – er bildet dieselbe Basis für beide Bikes. Auch wenn das R.EX das Hinterbau-Konzept vom großen Bruder geerbt hat, macht man dort den Unterschied aus. Doch bevor wir darauf eingehen, worin die Unterschiede liegen, fangen wir mit den Punkten an, die gleich sind.
Elevated Box Design & Kinematik
Rotwild nennt es Mid-High Pivot System und interpretiert damit einen Horstlink mit einem etwas erhöhten und leicht nach vorne verlegten Drehpunkt. Ziel von Rotwild war es, eine verbesserte Fahrdynamik mit optimierten Anti-Squat- und Anti-Rise-Werten zu erzielen. Die Position der Drehpunkte wurde gewählt, um den Nachteilen eines High-Pivot-Bikes wie eine stark variierenden Kettenstrebenlänge und einem hohen Anti-Rise-Wert entgegenzuwirken.
Elevated Box Design. Hier am R.EX.
Hier das R.EXC. Ein leicht erhöhter und nach vorne verlegter Drehpunkt – bei beiden Bikes.
Für die Nerds: Bei dem R.EXC ändert sich die Kettenstrebenlänge im Federwegsbereich von 20 % bis 75 % lediglich um 1,5 mm. Der Anti-Rise beträgt beim R.EXC im ausgefederten Zustand 49 %, im SAG-Bereich 58 % und voll eingefedert 65 %. Dadurch soll deine Federung beim Bremsen aktiv bleiben und das sogenannte Bremsstempeln größtenteils verhindert werden. Der Anti-Rise-Wert liegt über den gesamten Federweg bei 106 bis 108 % – dadurch wippt dein Dämpfer weniger beim Pedalieren und die Power wird in Vortrieb umgewandelt. Auch das R.EX profitiert von diesen Vorteilen und dem stabilisierten Fahrwerk beim Bremsen wie auch beim Pedalieren.
Rotwild war es wichtig, dass der Rahmen sowie der Hinterbau in Rennsituationen hohen Belastungen standhalten. Die voluminösen Carbonstreben sind da, um eine hohe symmetrische Hinterbausteifigkeit zu erreichen – für gleichbleibende Performance in Links- wie auch in Rechtskurven. Mit der hochgesetzten Kettenstrebe wird ein Klappern und Verklemmen der Kette vermieden. Mehr Reifenfreiheit verhindert das Zusetzen bei matschigen Bedingungen.
Antriebssystem & Akku
Da beide Bikes den gleichen Hauptrahmen verwenden, wird das gleiche Antriebssystem sowie der baugleiche Akku verbaut. In der Entwicklungsphase wurden laut Entwickler verschiedene namenhafte Motorenhersteller getestet und wilde Prototypen-Konstruktionen von der eigenen R&D-Abteilung realisiert.
Am Ende fiel die Wahl, aktuell fast schon unüblich, auf den bewährten Shimano EP801. Wichtig war es, mit dem Motorsystem den selbst entwickelten 820 Wh-Akku verwenden zu können. Nicht alle Motorenhersteller erlauben das.
Der EP801 treibt beide Bikes voran. Warum? Liest du hier als Nächstes.
Die IPU820-Carbonbatterie punktet mit einer größeren Reichweite dank der Gen2-Hochleistungszellen des Typs 21.700 sowie einem leichten Gewicht aufgrund des Carbongehäuses. Die Summe aus Motorleistung, Gewicht, der Offenheit für weitere Entwicklungsarbeit und der Integrierbarkeit in den Rahmen war laut Rotwild an dieser Stelle ausschlaggebend.
Ziel war es, ein Rad zu entwickeln, das ein erstklassiges Fahrgefühl erzeugt. Daher lag der Schwerpunkt auf einem optimierten Systemgewicht anstatt auf der höchsten Power. Der entnehmbare Akku wurde schlank ins Unterrohr integriert und kann per Knopfdruck mit zwei Rasterpunkten einfach entriegelt werden, ohne dass er gleich herausfällt. Unser italienischer Filmer bringt es bei der Aufnahme auf den Punkt: „Very German!“
Durch Drücken auf den Knopf links neben dem R.EXC Schriftzug lässt sich der Akku einfach entnehmen. Der Stift im Rahmeninneren sichert ihn.
Gleiches Prinzip beim R.EX – beide verwenden denselben Hauptrahmen. Der Akku ist schön im Unterrohr integriert.
Links der Akku mit seinen zwei Rasterpunkten zum Herauslösen – dort hakt der oben gezeigte Stift ein. Der zweite Rasterpunkt verhindert, dass der Akku einfach so herausfällt. Rechts sieht man das schlanke Carbongehäuse des selbst entwickelten 820 Wh Akkus.
Mit der Position des eigenen Akkus zielt Rotwild auf einen tiefen Schwerpunkt ab – für eine optimale Fahrdynamik. Sidefact: Der Rahmen soll, ob mit oder ohne Akku, die gleichen Steifigkeitswerte aufweisen. Das R.EXC Racebike wurde letzte Saison auch ohne Motor, mit normalem Tretlager und einer Akkublende auf normalen Enduro Rennen gefahren – Teamfahrer Torben Drach wurde mit diesem modifizierte Bike Deutscher Vize-Meister – in der unmotorisierten Klasse.
Unterschiede?
Bei dem R.EXC Racebike lag das Hauptaugenmerk noch etwas mehr auf den speziellen Anforderungen für den E-Enduro Wettkampf. Das Bike wurde noch etwas mehr auf die Ansprüche in steilen und anspruchsvollen Powerstages als auch in den schnellen Abfahrtsstages optimiert. Für Racepiloten, die ihr Bike bis ins kleinste Detail auf unterschiedliche Strecken und Bedingungen anpassen wollen, gibt es beim R.EXC noch ein paar Möglichkeiten am Fahrwerk und der Geometrie zu tunen.
Flip Chip am Ausfallende
Mit einem Flip Chip am Ausfallende kann man die Kettenstrebenlänge um plus oder minus 5 mm anpassen – je nachdem, ob du dein Bike gerne wendiger oder laufruhiger hättest.
Bei der Steckachse sitzt der Flip Chip für die Kettenstrebenlänge. Durch Drehen erhält man plus oder minus 5 mm.
Linkage Verstellung
Über das verstellbare Linkage kann man zwischen 145, 150 oder 160 mm Federweg wählen. Die Tretlagerhöhe und der Lenkwinkel werden dadurch ebenfalls etwas beeinflusst. Die Anpassung erfolgt sehr schnell und unkompliziert mithilfe eines Torx-Schlüssels. An dem oberen Dämpferlink entfernt man links und rechts jeweils eine Schraube und kann eine Platte, an der der Dämpfer befestigt ist, in drei verschiedenen Positionen fixieren – je nachdem, welchen Federweg man eben wünscht. Mit weniger Federweg hieß es, dass das Bike auch etwas mehr pop hat und verspielter wird. Lorenz von Rotwild würde das wohl auch öfter auf dem Trail anpassen.
Über die drei Löcher im Link kann man den Federweg wählen – 145, 150 oder 160 mm.
Geometrie
Beide Bikes sind in jeweils vier Größen verfügbar: S / M / L / XL
Sidefact: In alle Rahmengrößen passt eine große Trinkflasche.
Ausstattungen
Die beiden Bikes gibt es bei Rotwild in jeweils zwei Ausstattungsvarianten. In Massa Marittima konnten wir die jeweils höchste „ULTRA“-Stufe begutachten. Das R.EX gibt es noch in der günstigeren CORE- und das R.EXC in der PRO-Version.
Bauteil | R.EX | R.EXC |
---|---|---|
Rahmen | Vollcarbon aus High Modulus Carbonfasern, handgefertigt | Vollcarbon aus High Modulus Carbonfasern, handgefertigt |
Federgabel | 160 mm Federweg / FOX Float 36 Factory Kashima | 170 mm Federweg / FOX Float 38 Factory Kashima |
Dämpfer | 150 mm Federweg / FOX Float X Factory Kashima 2-Pos Adjust | verstellbarer Federweg 160/150/145 mm / FOX Float X 2-Pos Adjust EVOL LV Factory Kashima |
Reifendurchmesser vorne | max. 29x2.6 | max. 29x2.6 |
Reifendurchmesser hinten | max. 27,5x2.6 | max. 27,5x2.6 |
Zulässiges Gesamtgewicht | 130 kg | 130 kg |
Motor | SHIMANO EP801 / bis zu 85 Nm Drehmoment | SHIMANO EP801 / bis zu 85 Nm Drehmoment |
Batterie | IPU Carbon / effektive 820 Wattstunden / 4,5 A Ladegerät | IPU Carbon / effektive 820 Wattstunden / 4,5 A Ladegerät |
Farbe | Red Transparent | Red Transparent |
Größen | S / M / L / XL | S / M / L / XL |
Gewicht | 21,4 kg (Größe L) | 22,0 kg (Rahmengröße L) |
Preis | UVP: 11.490 Euro (ULTRA), 8.990 Euro (CORE) | UVP: 11.990 Euro (ULTRA), 9.990 Euro (PRO) |
Das R.EX an der Waage – 21,64 kg.
Erster Fahreindruck
Aufgrund des knappen Zeitfensters konnte ich nur eines der beiden E-Bikes testen. Ich schwang mich auf das R.EX All-Mountain – in Rahmengröße M. Für das Trailbike-Gelände in Massa Marittima schien das R.EX mit seinen 160 mm Federweg an der Front und 150 mm am Heck die bessere Wahl zu sein.
Ich startete über den Uphill-Trail namens „Spaghetti“, auf dem recht schnell klar wurde, warum er so heißt. Schlingel-Schlangel zwischen Bäumen und Steinen bis nach oben. In der Nässe erhöhten die Wurzeln in den Kurven den Schwierigkeitsgrad und man musste genau planen, wohin man fahren wollte. Nicht einfach nur draufhalten und reintreten. Das machte es echt spaßig und zu einer kleinen Challenge.
Bei den Bedingungen in Massa Marittima musste die Linienwahl stets gut überlegt sein.
Die Rahmengröße M war hierfür auf jeden Fall die richtige Wahl. Der Shimano EP801-Motor schob mich mit genügend Saft noch oben. Angenehm war auch hier die Free Shift-Funktion des Shimano Di2-Schaltwerks. Schalten, ohne treten zu müssen, macht es in technischen Uphills einfach, den richtigen Gang einzulegen. Der Hinterbau blieb beim Pedalieren sehr neutral und wippte nicht.
Deore XT Schaltwerk mit Free Shift Funktion – Schalten ohne Treten.
Bei kleinen, spitzen Unebenheiten im Uphill passierte es ein paar Mal, dass es mich leicht aus dem Sattel hob. Mit einer aktiven Körperposition und einer vorausschauenden Fahrweise konnte man dem gut entgegenwirken. Als die Schläge etwas größer wurden, schien das R.EX entgegen der Vermutung ruhiger zu werden.
Wurden einzelne, feuchte Uphillpassagen im oberen Teil steiler, kam der Tacky Chan-Hinterreifen an seine Grenzen. Traf man hier nicht die Ideallinie, musste man absteigen – nicht wegen des Motors, sondern eher wegen des Grips.
Bergab konnte man dem Bike die Sporen geben. Richtungswechsel ließen sich gut durchführen und das Bike folgte meinen Befehlen. Befand man sich im Federweg, lag das R.EX sehr satt und ruhig auf dem Trail. Das pushte das Selbstvertrauen.
In Massa war der Federweg vollkommen ausreichend und es gab keine Situation, in der ich mir mehr Federweg wünschte. Die etwas kleinere Fox 36 harmonierte mit dem Rad und schob das Vorderrad gut durch die kleinen Steine. Einen größeren Drop sprang ich zu weit ins Flat. Bottom Out. Der Hinterbau bot gegen Ende ordentlich Support und schonte meine Knöchel. Bei Zeit für mehrere Testruns, wäre am Fahrwerk der nächste Schritt gewesen, einen größeren Volumenspacer oder etwas mehr Luftdruck zu testen.
Zum aktiven Abziehen braucht es auf dem Trail schon eine definierte Absprungskante. Der erwähnte höhere Druck und Volumenspacer könnte dem R.EX hier ebenfalls vom Boden in die Luft helfen. Hält man gerne auf eine Linie drauf, wird das Bike einem den Weg frei bügeln.
Kurzeindruck zum Rotwild R.EX
Mit dem R.EX bekommt man ein potentes All-Mountain E-MTB. Seine Stärken sehen wir in der Sicherheit im groben Geläuf, ob gewollte Linienwahl oder ungewollt. Wer Flugmeilen sammeln möchte, sollte ein entsprechendes Setup im Fahrwerk finden, das beim Start hilft. Man spürt trotz des geringeren Federwegs bereits deutlich die DNA des großen Bruders, dem R.EXC E-Enduro, was nicht umsonst als Racebike betitelt ist. Mit der Hinterbau-Performance bietet es ausreichend Reserven für die meisten deutschen Strecken und bietet viel Sicherheit und Selbstvertrauen, wenn es bergab geht.
Wie geht es weiter?
Für einen ausführlichen Testeindruck würden wir das R.EX gerne noch etwas länger ausführen. Für den direkten Vergleich wäre ein Back-2-Back Test mit dem R.EXC interessant. Wie sehr unterscheidet sich das Fahrgefühl der beiden Bikes? Hat der „Normalo“-Biker, der keine E-EDR Rennen fährt, mit dem kleineren R.EX mehr Spaß? Was lässt sich über den Flip Chip und die verstellbare Kettenstrebenlänge noch herausholen?
Ihr wollt mehr Custom bikes?
Autor – Yannick Noll
Größe: 178 cm
Gewicht: 75 kg
Fahrstil: Als ehemaliger Racer darf es gerne schnell und flüssig sein. Größere Sprünge und steile Rampen dürfen aber auch nicht fehlen. Das Bike ist etwas straffer und schneller abgestimmt, dass es entsprechend schnell auf Input vom Fahrer reagiert.
Motivation: Es soll Spaß machen. Ein Bike sollte nicht langweilig, alles platt bügeln. Der Charakter darf etwas lebendiger sein. Bei der Abstimmung, wie auch beim Fahrstil. Das Produkt sollte haltbar sein und auch auf längeren Biketrips sorgenfrei funktionieren.